100 Jahre Arbeiterwohlfahrt
Die Geschichte der Arbeiterwohlfahrt
13. Dezember 1919
Nach dem 1. Weltkrieg war das Deutsche Reich 1918 zerstört, politisch instabil und sozial ruiniert. Millionen Menschen sind in Not und Hungern. In Deutschland starben von 1914 bis 1918 etwa 800.000 Menschen an den Folgen von Unterernährung.
Im Sommer 1915 kam es zu ersten Demonstrationen wegen Lebensmittelknappheit in Asch. In Selb gab es 1916 im Mai einen Auflauf mit 800 bis 1000 Frauen wegen der Lebensmittelknappheit, sie wollten die Forderung nach zusätzlichen Brotrationen durchsetzen und weil das Ausgabedatum für die Lebensmittelmarken verschoben wurde. Es folgten Protestaktionen in Rehau. Mehrfach Belastung der Frauen.
Gesundheitliche Mängel wurden in ganz Deutschland dadurch verstärkt, dass Körperhygiene nur noch eingeschränkt möglich war, da pro Kopf nur noch 50 g Seife im Monat gestattet waren, die lediglich maximal 20 Prozent Fettgehalt aufwies, Füllstoffe wie Ton und Speckstein enthielt und nur über Seifenkarten zu beziehen war. Ab Frühjahr 1918 folgte die Spanische Grippe in drei Wellen, von denen die zweite (im Herbst 1918) und die dritte (1919) zusätzlich zum Hunger durch fehlende Lebensmittelimporte durch das noch fortbestehende britische Handelsembargo viele Menschenleben forderte.
Die Kriegsversehrten, die Opfer des Krieges, die Witwen, die Weisenkinder ohne soziale Hilfen. Eine bisher nicht gekannte Massenverelendung in Deutschland forderte die Selbsthilfe und die praktische Solidarität vieler freiwilliger Helferinnen und Helfer gerade zu heraus. Der Gedanke liegt nahe aus den verschiedenen Organisationen der Arbeiterbewegung eine sozialdemokratische Wohlfahrtsorganisation zu bilden.
Doch es ist nicht nur die aktuelle Not der Menschen, die zur Idee einer ‚Arbeiterwohlfahrt‘ führt. Das politische Ziel, von Marie Juchacz massiv unterstützt, sollte die unterdrückte Armenpflege des alten Kaiserregimes abzulösen und die Idee der Selbsthilfe und Solidarität in einer modernen Wohlfahrtspflege zu gestalten.
SPD Vorsitzender Friedrich Ebert und der Parteivorstand bertrugen die Aufgabe an sie. Arbeiterinnen und Arbeiter sollten nicht länger nur Objekt der Armenpflege sein. Die Sozialdemokratin Marie Juchacz, Frauensekretärin beim Parteivorstand, die Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht in Deutschland, eine der ersten weiblichen Mitglieder der Weimarer Nationalversammlung und erste parlamentarische Sprecherin in diesem ersten frei gewählten deutschen Parlament, rief am 13. Dezember 1919 den Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD ins Leben.
Friedrich Ebert, der erste deutsche Reichspräsident, gab dem jungen Wohlfahrtsverband das Motto: ‚Arbeiterwohlfahrt ist die Selbsthilfe der Arbeiterschaft‘.
So wurde neben der Bürgerlichen Wohltätigkeit, ein sozialdemokratischer Wohlfahrtsverband geschaffen, unter dem man allerdings damals etwas anderes verstand als heute. Die Arbeiterwohlfahrt ist ein Element der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Seit Ihrer Grünung ist sie eine politische Interessengemeinschaft, deren Mitglieder für soziale Gerechtigkeit und den sozialen Fortschritt eintreten. Die AWO war deshalb immer eine der gesamten Gesellschaft dienende Gemeinschaft.
Die 20er Jahre
In den Notzeiten der 20er Jahre, die nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft die Goldenen 20er Jahre waren, entstand eine Vielzahl von Diensten und Einrichtungen der AWO: Nähstuben, Mittagstische, Werkstätten und Beratungsstellen. Viele sozialdemokratische Frauen und Männer wurden für einen sozialen Beruf ausgebildet.
Aufgabe und Ziel der AWO war es diese Not zu lindern, ihr vorzubeugen, die Wohlfahrtsleistungen zu verbessern und moderne sozialpädagogische Methoden anzuwenden. Durch die Notverordnungen dieser Jahre wurden die Leistungen der Wohlfahrtspflege immer wieder drastisch eingeschränkt. Die diskriminierende öffentliche Armenpflege sollte dennoch durch eine moderne Fürsorgegesetzgebung überwunden werden.
Meilensteine dieses Weges waren das Reichsjugendwohlfahrtgesetz von 1922 und die Fürsorgepflichtverordnung von 1924. Die AWO forderte soziale Rechtsansprüche ein. Die Mitglieder, hatten als selbstbetroffene der herrschenden Not, diese zu bewältigen und halfen trotzdem vielen anderen. Vorrangig galt es deshalb der Massenverelendung mit praktischer Selbsthilfe zu begegnen.
1925 wurde von der Arbeiterwohlfahrt eine eigene Lotterie veranstaltet und Arbeiterwohlfahrtmarken verkauft, damit die entstandenen und entstehenden sozialen Dienste finanziert werden konnten.
1926 wurde die AWO als Reichsspitzenverband der freien Wohlfahrtspflege anerkannt.
Ab 1928 hatte die AWO eine eigene Wohlfahrtsschule in Berlin.
Notverordnungen, geringe soziale Rechtsansprüche, die Weltwirtschaftskrise und die instabilen Verhältnisse der Weimarer Republik machten die soziale Hilfstätigkeit der AWO unentbehrlich. Mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland waren auf Hilfen der Wohlfahrtspflege angewiesen. 5,7 Millionen Arbeitslose Menschen standen vor den Schaltern der Arbeitsämter. In den AWO Volksküchen wurden hungernde versorgt, Lebensmittel- und Kleidersammlungen durchgeführt.
1931 waren 135.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer der AWO in der Kindererholung und im Kinderschutz, in der Altenbetreuung und Jugendhilfe in Notstandsküchen, in Werkstätten für Behinderte und Erwerbslose, sowie in Selbsthilfenähstuben tätig.
Die AWO wurde zur Helferorganisation für alle sozial bedürftigen Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Glauben.
Verbot – Enteignung – und Verfolgung
Am 30. Januar 1933 kam Adolf Hitler an die Macht, wenige Wochen später wurde die Arbeiterwohlfahrt von den Nationalsozialisten verboten und zwangsweise aufgelöst. Am15. Juli 1933 erscheint die Zeitschrift der AWO mit Hakenkreuz. Der beauftragte der Deutschen Arbeitsfront verkündet die Umorganisation der AWO, dass sie so ausgebaut wird, dass sie später als Vorbild für alle Wohlfahrtseinrichtungen dient.
Die Überführung der AWO in die nationalsozialistische Volkswohlfahrt scheiterte weil sich allerorts die Mitglieder, Helferinnen und Helfer, die Funktionäre der Organisation zurückzogen. Vermögen, Heime und Einrichtungen wurden beschlagnahmt und von der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt übernommen. Führende Frauen und Männer der AWO wurden verfolgt. Die Hilfe für Notleidende und verfolgte des Naziregimes wurde in der Illegalität solange wie möglich fortgesetzt. Marie Juchacz und viele andere mussten Deutschland verlassen.
Die Arbeiterwohlfahrt hatte aufgehört als Organisation zu existieren.
Neubeginn und Wiederaufbau
Mit dem Ende des Krieges 1945, dem Zusammenbruch und der Teilung Deutschlands, begann der Wiederaufbau im von den Siegermächten gesetzten Land. Und auch der Wiederaufbau der AWO begann. Die AWO 1946 wurde in Hannover als parteipolitisch und konfessionell unabhängige und selbstständige Organisation wieder ins Leben gerufen. In Selb noch 1945 im Herbst/Winter durch Marie und Hans Bauer.
In der Sowjetisch besetzten Ost-Zone wurde die AWO nicht mehr zugelassen. Aufgrund des alleierten Status hatte die AWO auch in Ostberlin eine offizielle Zulassung. Diese erlosch nach dem Mauerbau am13.August 1961.
Kinder- und Jugenderholungsmaßnahmen wurden wieder angeboten und nach der alten Tradition wurden Nähstuben, wurden aber auch Einrichtungen der Hauswirtschaft und Mütterbildung eröffnet.
1949 kehrte Marie Juchacz aus der Emigration, aus der USA zurück. In New York hatte sie dafür gesorgt, dass die Arbeiterwohlfahrt in die CARE Paketaktion der Amerikaner einbezogen wurde. Sie wurde zur Ehrenvorsitzenden gewählt.
Organisatorisch ging die AWO jetzt neue Wege ohne die Nähe zur Sozialdemokratischen Arbeiterbewegung zu verlieren, gründete und organisierte sie sich als selbstständiger Verband, der sich bereits 1947 auf der Reichskonferenz in Kassel neue Richtlinien gab.
1953 erklärte Lotte Lemke, die damalige stv. AWO Vorsitzende, auf der Berliner AWO Reichskonferenz: „Heute ist aus der Arbeiterwohlfahrt der Weimarer Zeit eine Wohlfahrtsorganisation geworden, deren Aktionsradius weit über den Kreis der zur Arbeiterschaft rechnenden Bevölkerung hinausgreift.“
In diesen Jahren wurden Kindergärten und Horte neu eingerichtet, Volksküchen gaben Essen an Kinder, Alte und Kranke aus. Des Weiteren wurden Kriegsgefangene und ihre Angehörigen betreut und mit Lebensmittel versorgt. Eine AWO Schwesternschule wurde eröffnet und die AWO Schwesternschaft gegründet. In Karlsruhe wurde das ‚Seminar für Sozialberufe‘ als Ausbildungsstätte eröffnet.
Die AWO wurde tätig auf allen Feldern der sozialen Arbeit.
1959 hatte die AWO 300.000 Mitglieder, 5.000 Ortsvereine, 353 Heime, 250 Kindergärten, 4.000 Hauptberufliche Mitarbeiter-innen und über 70.000 Helferinnen und Helfer.
Wiedervereinigung nach 57 Jahren
Am 9. November fällt die Mauer in Berlin. Am 3. Oktober 1990 ist Deutschland wiedervereinigt. Die innenpolitisch dramatisch umkämpfte Entspannungspolitik von Willy Brandt, Egon Bahr, Helmut Schmidt und Herbert Wehner, der politische Reformwille eines Michail Gorbatschow legen den Grundstein für die neue deutsche Geschichte nach 1945 und nach 1989.
Durch West- Ostpartnerschaften organisiert beginnt auch die AWO in den neuen Bundesländern mit einem dynamischen Aufbauprozess. Ein Jahr nach dem Mauerfall schließen sich die Landes- und Bezirksverbände der AWO in ganz Deutschland auf einem Bundestreffen am 10. November 1990 zusammen. Damit fand sich zusammen, was vor 57 Jahren gewaltsam getrennt wurde.
Die AWO ist heute in allen Bundesländern tätig.
Erfahrung für die Zukunft
Mit den rasanten Veränderungen in der Berufs- und Arbeitswelt und der technologischen Entwicklung in den letzten hundert Jahren änderten sich auch die Aufgaben der AWO.
Eine zeitgemäße und zukunftsweisende Sozialarbeit hat diesen Prozessen Rechnung zu tragen.
Der soziale Rechtsstaat, wie ihn die AWO in Ihren Anfängen und Werden angestrebt hat, ist in seinen grundlegenden Elementen Wirklichkeit geworden. Die AWO lässt nicht nach in ihren Forderungen nach Verbesserungen in der Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik, sowie in der allgemeinen Fürsorge um den Menschen und seine soziale Sicherung. Die AWO hat immer ihre Forderungen an die Parlamente und Regierungen gestellt, aus denen Gesetze wurden, die einen Rechtsanspruch auf soziale Hilfen garantieren. Ein Beispiel ist die sozialrechtliche Sicherung des Pflegefallrisikos.
Die AWO hat neue soziale Aufgaben übernommen die ihren Ursprung im Wandel der Gesellschaft haben. Dazu gehört die Betreuung der zahlreichen ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit Beginn der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, die stationäre und ambulante Pflege, die Suchtberatung und sozialpsychologische Betreuung.
Grundsatz der sozialen Arbeit der AWO ist auch weiterhin die Hilfe zur Selbsthilfe. in zunehmenden Maße hat die AWO Arbeit als freier Verband – gewollt und nicht gewollt – öffentliche Aufgaben übernommen, deren Finanzierung nicht im vollen Umfang durch öffentliche Zuwendungen gedeckt ist.
Die Krise der Weltwirtschaft in den 1980er Jahren und die ökonomische und technologische Globalisierung im neuen Jahrtausend wirft ihre Schatten auf die Zukunft des Sozialstaates… Viele Menschen sind ohne Arbeitsplatz. Viele Menschen sind auf der Flucht die AWO betreut und unterstützt sie. Die sozialen Sicherungssysteme bedürfen der Reform und nicht des Abbaus. Die soziale Bewährungsprobe stellt sich immer dort, wo die AWO mit ihren Diensten und Einrichtungen direkten Kontakt mit den Menschen hat.
Heute ist die AWO in weit größerem Maße als früher Trägerin sozialer Aufgaben und Dienstleistungen. Die AWO legt in allen Bereichen Wert darauf, soziale Aufgaben und Dienstleistungen der Gegenwart mit Blick auf die Zukunft zu lösen. Mit den Erfahrungen für die Zukunft.